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Kooperationsprojekt mit Audi

Seminarwochen mit Auszubildenden aus Ingolstadt und Neckarsulm

In sieben Außenlagern des KZ Flossenbürg beutete die Auto Union AG, die Vorgängerin der AUDI AG, tausende männliche und weibliche Gefangene aus ganz Europa für die Rüstungsproduktion aus.

Vor dem Hintergrund dieser Geschichte arbeiten Audi und die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg seit dem Jahr 2016 zusammen und haben gemeinsame Seminare ins Leben gerufen. Diese ermöglichen den jungen Audianerinnen und Audianern schon früh in ihrer Karriere eine Auseinandersetzung mit der Geschichte.

Dreimal jährlich finden Seminare für je 20 Auszubildende aus den Standorten Ingolstadt und Neckarsulm statt. Normalerweise stehen sie als angehende Kaufleute für Büromanagement, Kfz-Mechatroniker oder Fachkräfte für Lagerlogistik im Betrieb. Für vier Tage tauchen die freiwillig teilnehmenden Azubis in Flossenbürg unter Anleitung des pädagogischen Teams der Gedenkstätte tief in die Materie ein. Die Lebens- und Haftwege von Gefangenen sind dabei ebenso zentrale Themen wie Fragen nach Täterschaft und Handlungsspielräumen innerhalb der „Zustimmungsdiktatur“ des Nationalsozialismus, sowohl was in Verbrechen verstrickte Firmen als auch die deutsche Gesellschaft als Ganzes angeht. Teil des Seminars ist zudem eine Reise nach Zwickau, dem Gründungsort der Firma und Standort eines ehemaligen Außenlagers. Das August Horch Museum Zwickau ist vor Ort unsere Anlaufstelle und enger Partner für das Bildungsprogramm.

Auch Führungskräfte und Teams sollen nach einer pandemiebedingten Unterbrechung wieder für Seminare an die KZ-Gedenkstätte kommen. Themen sind dann insbesondere Führungsverantwortung und Führungsethik. Diskutiert werden in dem zweiteiligen Programm schließlich auch grundlegende Fragen zu Handlungsoptionen im Management heute.

Zur Konzeption und Durchführung dieser Seminare finanziert Audi die Vollzeitstelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters in der Bildungsabteilung und stärkt auch darüber hinaus die Bildungsarbeit der Gedenkstätte finanziell.

Multiperspektivität als Schlüssel

Die Auszubildenden kommen zum Seminar über Ausschreibungen an ihren Standorten, und werden für die 4 Tage von ihren Ausbildungsleitenden freigestellt. Kollegial betreut und begleitet werden sie auch immer von einzelnen Trainer*innen und Mitgliedern der Jugendausbildungsvertretung (JAV). Die Zugänge der Azubis zur Geschichte sind divers: die Familienbiographie vieler Teilnehmender liegt außerhalb Deutschlands, sie haben unterschiedliche Heimatorte, Schulabschlüsse, Assoziationen mit dem Thema Nationalsozialismus. Im Seminar wird diese Multiperspektivität aufgegriffen und die Teilnehmenden darin bestärkt, diese in den Bildungsprozess einzubringen.

So nähern sie sich zunächst über Bilder und Ereigniskarten entlang eines Zeitstrahls geschichtlichen Zusammenhängen an, und identifizieren darin für ihre eigene Biographie relevante Eckpunkte. Mit einem ersten Rundgang über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers, das durch Überbauen mit Einfamilienhäusern und Nachnutzung als Industriegelände stark von dem Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit dem Ort gezeichnet ist, wird dann bereits der Raum für Fragen und Diskussionen eröffnet, die auch die folgenden Tage Thema bleiben werden: fängt alles wirklich erst 1933 an, und hört 1945 auf? Welche Vorgeschichte, welche Nachwirkungen hat der Nationalsozialismus – und für wen?

Wer waren die Menschen im KZ Flossenbürg – auf beiden Seiten des Lagerzauns?

Der zweite Tag des Seminars knüpft genau bei den beteiligten Menschen an. In Teamarbeit nehmen die Teilnehmenden Biographien von Menschen in den Fokus, die sehr unterschiedlich sind, sei es in Bezug auf Herkunft, Alter, Geschlecht, oder Sexualität, doch die den Bezug zu Flossenbürg als Gemeinsamkeit haben. So werden die Lebenswege von Gefangenen erkundet, die als Juden, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, als „asozial“ oder homosexuell verfolgt und im KZ Flossenbürg und/oder dessen Außenlagern inhaftiert waren, und deren Selbstbild mit den rasseideologischen nationalsozialistischen Zuschreibungen auf sie kontrastiert.

Immer wieder kommt bereits Audi bzw. die Auto Union zum Vorschein – beispielsweise bei der in der Tschechoslowakei geborenen Hana Malka, die für eine Zulieferfirma im Außenlager Oederan Zwangsarbeit leisten musste. Ebenso als Jude verfolgt wurde der Deutsche Leo Steinweg, der vor 1933 als Rennfahrer für die Auto Union-Firma DKW gefeiert, dann aber von den Nationalsozialisten verfolgt und im Februar 1945 im Außenlager Obertraubling bei Regensburg ermordet wurde.

Unter die Biographien mischen sich auch solche, welche ebenso die Schnittmenge „Flossenbürg“ mit den anderen teilen, doch auf der anderen Seite des Lagerzauns standen. Der vergleichende Blick auf Täterbiographien nach 1945 macht deutlich: während die überlebenden ehemaligen Gefangenen weiterhin mit existenziellen Herausforderungen und teils erneuter Verfolgung zu kämpfen haben, gestaltet sich das Weiterleben für deren Peiniger weitgehend unbeschwert, sie können meist nahtlos an ihre Karrieren anknüpfen und werden kaum behelligt. So wird früh eine Diskussion über verschiedene Dimensionen von Täterschaft und dessen unzureichende Aufarbeitung in West- wie Ostdeutschland bis heute möglich – ein Aspekt, der aufgegriffen wird, wenn es im weiteren Verlauf des Seminars dann um Auto Union und Audi und die Verantwortung der Unternehmensleitung damals gehen wird.

Die Azubis bekommen am Nachmittag verschiedene Optionen, diese Erkenntnisse und Themenkomplexe mittels der Ausstellungen, durch Objekte, Dokumente und Filmclips zu vertiefen. Eigenständige bzw. Gruppenarbeit wechselt sich dabei stets mit Moderation und Anleitung durch die Seminarleiter*innen ab, die Arbeit mit dem konkreten historischen Ort mit der Erforschung des größeren Kontextes. Nicht zu kurz kommen auch Pausen, spielerische Elemente, und Gelegenheiten für persönlichen Austausch untereinander.

Die Auto Union AG im Nationalsozialismus: Verbrechen aus Opportunismus

Beim Tagesausflug nach Zwickau beziehen die Seminarleiter*innen mit den Azubis all diese Lernprozesse nun auf den konkreten Kontext Audi/Auto Union und deren Einsatz von KZ-Häftlingen als Zwangsarbeiter*innen. Zwickau und das August Horch Museum dort bietet dafür die nötige Infrastruktur und die Hintergrundfolie im Ausstellungsbereich: Oldtimer der Auto Union-Firmen Horch, DKW, Wanderer und Audi (die vier Ringe im Unternehmenslogo, das die AUDI AG als Nachfolgerin der Auto Union übernommen hat), welche in einem der Räume durch Kettenfahrzeuge, Kübelwägen und Maschinengewehre abgelöst werden. Zwischen 1933-1945 stellt das Unternehmen auf Rüstungsproduktion um, und mit Kriegsbeginn 1939 werden auch sogenannte „zivile“ Zwangsarbeiter*innen in den Werken eingesetzt – teils angeworbene, teils zwangsverpflichtete Männer und Frauen aus besetzten Ländern. Mit dem ab 1942 für die Deutschen zunehmend aussichtlosen Kriegsverlauf und dem wahnhaften Streben der Nationalsozialisten nach dem „Endsieg“ jedoch kann der Bedarf an Arbeitskräften auch mit diesen nicht mehr gedeckt werden. Nun kommen auch KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter*innen in deutschen Firmen zum Einsatz, so auch ab Mitte 1944 bei der Auto Union. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen und Tschechiens werden Fertigungsstandorte der Firma zu Außenlagern des KZ Flossenbürg.

Im Außenlager Zwickau beuteten Auto Union und SS insgesamt 1.000 KZ-Häftlinge für den Bau von Wehrmachtsfahrzeugen, Flugzeugen und Torpedos aus. Sie standen an der untersten Stufe der Zwangsarbeiter*innen, was Verpflegung, Arbeitsschutz- und Hygienestandards betraf. Das Außenlager lag in einem abgetrennten Bereich des Werksgeländes, die Arbeit fand in zwei Schichten im sogenannten „Horch-Hochbau“ statt. Krankheiten, Kälte, Mangelernährung und Gewalt durch SS und Kapos fordern unzählige Tote. Vom Außenlager ist heute nichts mehr zu sehen. Der Hochbau steht noch, einige hundert Meter vom Museum entfernt. Er ist inzwischen allerdings eine nicht mehr zugängliche Industrieruine.